Miguelanxo Prado’s Ardalén ist einer dieser Graphic Novels, auf die ich mich bereits im Vorfeld sehr gefreut habe. Es dauerte eine Weile (unter anderem wegen des Preises von 30 Euro), bis ich mir diesen Band letztendlich gekauft habe. Im Internet kursieren viele gute Berichte über Ardalén und ich kann dem nur zustimmen, diese Lektüre hat sich gelohnt!
Ardalén hat mich sehr nachdenklich zurückgelassen, so sollte es sicherlich auch sein, aber für ein absolut perfektes Leseerlebnis fehlt mir irgendwie noch etwas …
Ardalén
Klappentext
„Die Erinnerungen kommen und gehen, und ich kann sie nicht einordnen.
Ich kann nie genau sagen, was vorher und was nachher geschehen ist.
Namen, Gesichter … alles durcheinander. Als wäre das Buch meines Lebens zerfleddert, und ich hätte nur noch ein paar Seiten in der Hand, die ich nicht in die richtige Reihenfolge bringen kann. Manchmal kommt es mir sogar so vor, als wären das nicht meine Erinnerungen … Ich weiß nicht einmal, ob ich das, was ich erlebt habe, und das, was ich mir ´vorgestellt habe, auseinanderhalten kann.“
Wir sind das, woran wir uns erinnern. Aber das Gedächtnis ist weder objektiv noch unveränderlich. Sabela versucht, mithilfe von Fidels Erinnerungen eine Geschichte, einen Teil ihrer Geschichte zu rekonstruieren. Aber es gibt noch mehr Gedächtnisstränge, mehr Personen und mehr Erinnerungen, die sich in diesem Prozess miteinander verspinnen. Denn wir sind auch das, woran sich andere erinnern. Und in diesen Erinnerungen, in den eigenen und in den fremden, gibt es Liebe und Zärtlichkeit, und es gibt Zorn und Hass.
Daher können Erinnerungen gefährlich sein.
Aber wer sich nicht erinnert, lebt nicht.
Bereits nach diesen einleitenden Worten war ich interessiert. Ich wollte mehr über Ardalén und den Inhalt erfahren, konnte es kaum erwarten endlich mit dieser Graphic Novel anzufangen. Das Thema der Erinnerungen interessiert mich, der Klappentext hat meine Neugierde bereits geweckt.
Aber vorerst möchte ich die hervorragende Aufmachung erwähnen:
Ardalén ist eine gebundene Ausgabe im handlichen Format (20cm. Mal 26,9cm.).
Auf 256 Seiten kann sich der Leser mit der rührenden Geschichte auseinandersetzen.
Passend zum grünlich bläulichen Unterwassermotiv des Covers, gibt es ein schönes Lesebändchen dazu.
Die Zeichnungen von Miguelanxo Prado haben mir persönlich sehr zugesagt.
Kräftige Farben, aber keineswegs knallbunt und leuchtend, sondern eher erdig gehalten in vollendeter Kreidestrichtechnik, laden den Leser zum Verweilen der einzelnen Bilder ein.
Einfache farbliche Nuancen verbindet Prado zu einem Mix aus Zeichnungen zwischen Natur und traumhaft surrealen Bildern. Dabei kann es schon mal vorkommen, dass aus einem Wald heraus schwimmende (fliegende) Walfische hervorkommen, oder in Fidel seiner Hütte schwimmen Fische auftauchen …
Die Zeichnungen vermitteln stets einen gekonnten Übergang zwischen Realität und Vergangenheit, zwischen Visionen, Meer, Leben und Tod. Durch Prado seine aussagekräftige Pastellkreidetechnik gelingt es ihm, eine sehr ruhige, besinnlich und vor allem nachdenkliche Geschichte auf das Papier zu bringen. Durch die Art der Darstellungsweise wirken die Charaktere sehr lebendig bzw. fühlbar. Die Charaktere sind sehr realistisch gezeichnet, vor allem ihre Gesichter wissen mir zu gefallen. Ihre Mimik, ihre Gestik ist sehr aussagekräftig. Gefühle wie Wut, Angst, Trauer, Zorn, Hoffnung und Liebe sind sehr gut auf den Gesichtern zu erkennen. Die Rätselhaftigkeit des älter werden, macht auch vor den Zeichnungen keinen Halt. Furchen, Augenringe, Narben und Falten auf der Haut und im Gesicht zeugen von einer interessanten Geschichte der jeweiligen Personen. Sehr detailverliebt sind die einzelnen Personen und Hintergründe dargestellt, ihre Kleidung ist stets in Falten gelegt, die Umgebung ist jeweils dem Szenario entsprechend detailverliebt ausgearbeitet. So enthält das kleine Haus von Fidel sehr viele Gegenstände (Klavier, Muschel, Bücherregale, Tisch etc.). Auch das Gasthaus des Dorfes ist entsprechend einer ordentlichen Bewirtung ausgestattet.
Die Geschichte von Miguelanxo Prado beschäftigt sich mit dem Thema der persönlichen Erinnerung. Das Thema der Erinnerung mag durchaus philosophisch klingen, ist es teilweise auch, aber das hat mir überhaupt nichts ausgemacht. Die Erinnerung gilt hier vielmehr als Existenzbegründung unseres Lebens. Ohne eine Erinnerung wären wir nichts …
Sabela reist auf der Suche nach Informationen über ihren verstorbenen Großvater in ein kleines Dorf in den Bergen. Hier lässt sie sich für die nächste Zeit nieder, in einem Gasthaus, wo ihre Ankunft bereits ein gewisses Misstrauen der Dorfbewohner geweckt hat. Hier lernt Sabela in einer abseits gelegenen Hütte den alten „verrückten“, sich an nichts zusammenhängendes Erinnern könnenden, Fidel kennen. Dieser könnte der Schlüssel zu den gesuchten Informationen über ihren Großvater sein.
Es entwickelt sich eine vielversprechende Geschichte um Sabela und Fidel. Sabela trifft sich regelmäßig mit Fidel und versucht quasi in einzelnen „Sitzungen“ mehr über ihren Großvater in Erfahrung zu bringen, der Ende der Dreißiger Jahre nach Amerika ausgewandert ist.
Mitunter hat es den Anschein, dass Fidel ein Geheimnis mit sich trägt, welches durchaus eine Gefahr für das wohlige Dorfgeschehen darstellen könnte. Traum und Realität, Visionen und Illusionen, Selbstgespräche und reine Gedankenkraft, Vergangenheit und Erinnerungen, bruchstückhaft zusammengesetzt ergeben zum Schluss ein Gesamtkunstwerk, welches in sich schlüssig ist und längere Zeit im Gedächtnis des Lesers verweilt. Stellenweise etwas fordernd teilweise auch nicht ganz einfach nachzuvollziehen, ergibt für alle Beteiligten das Geschehen einen Sinn. Mit voranschreitender Handlung fragt sich der Leser immer mehr, wessen Erinnerungen eigentlich erzählt werden. Dadurch entsteht eine stetig steigende Spannung bis zur Auflösung am Ende des Bandes. Prado spielt mit unterschiedlichen Erzähltechniken, er wechselt zwischen verschiedenen Zeitebenen. Dabei erzählt Prado von den „Verstorbenen“, der Kindheit von Fidel sowie von Ereignissen auf See bzw. nahe Kuba.
Die Geschichte ist von der ersten bis zur letzten Seite sehr ruhig und nachdenklich, besinnlich und stets langsam voranschreitend. Die einzelnen Kapitel werden jedoch, und das mag für den ein oder anderen wirklich als störend empfunden werden, von „wissenschaftlichen“ Abhandlungen oder Magazinbeiträgen (Kartenmaterial, Urkunden, Amtsgericht Urteilen …) bzw. der Handlung entsprechend wichtigen Informationen unterbrochen. Der Leser kommt quasi aus einer entspannt besinnlichen Lage und wird konfrontiert mit einem wissenschaftlichen Text über „Wir sind, woran wir uns erinnern“. Dieser Text zum Beispiel hat leichtes Studium Niveau und enthält durchaus Wissenswertes zum Thema Erinnern und Identität. Der Text an sich hat mir gut gefallen, jedoch lockert es die Stimmung der Graphic Novel keineswegs auf, ganz im Gegenteil, der Leser muss sich für diese Texte richtig konzentrieren, sie lassen sich nicht schön langsam und besinnlich lesen und laden eben nicht zum Verweilen und entspannen ein. Weitere Texte handeln zum Beispiel von der Gegenwart („Es gibt keine Gegenwart“), oder über das Kapitel entsprechende Besonderheiten („Der König der Meere“ bzw. Meeressäugetiere) …
Sogar ein richterliches psychiatrisches Gutachten findet der Leser in diesem Band.
Bereits auf den ersten Seiten merkt der Leser, dass er einen Band zum Verweilen und zum Nachdenken in den Händen hält, eben kein Action-Comic. Eine der ersten Seiten ist beschrieben mit Zitaten von verschiedenen Persönlichkeiten rund um das Thema der Erinnerungen. Eine weitere erklärt den Titel Ardalén! Das sagt jedoch am Anfang eigentlich noch gar nichts über den Inhalt der Graphic Novel aus, erst zum Schluss kennt und versteht der Leser die Bedeutung dieses Wortes.
Landschaftliche Zeichnungen zu Beginn, begleitet durch ein Gedicht, bereiten den Leser bereits auf eine ruhige Atmosphäre vor. Diese zu Beginn aufgebaute ruhige Atmosphäre bleibt wie gesagt beinahe durchgehend erhalten, auch wenn es spannend wird.
Einzig und allein die oben beschriebenen Unterbrechungen lockern eben diese Atmosphäre gewaltig auf.
In diesem Sinne kann ich diese Graphic Novel jedem Empfehlen, der auf ruhigere Comics mit Tiefgang steht. Wer auf leichte Unterhaltung steht, oder ein Comic zum nebenbei Lesen sucht, der sollte lieber nach anderen Geschichten Ausschau halten. Wichtig ist, dass man sich mit dem Thema der Erinnerungen anfreunden kann, sonst könnte es sein, dass man sich schwer tut mit diesem Band.
Copyright aller verwendeen Bilder © 2013-2014 Miguelanxo Prado / Egmont Graphic Novel
Diesen Band kann man in jeder gut sortierten Buchhandlung sowie bei Amazon erwerben.




