Am 19. Dezember 2012 verstarb Keiji Nakazawa an Lungenkrebs in seinem Geburtsort Hiroshima, die seine größte Tragödie und sein größter Erfolg zugleich war. Entgegen anderslautenden Meldungen starb er aber nicht an den direkten Spätfolgen der Strahlung durch die Atombombe. Auch sein Diabetes Mellitus ist keine direkte Folge durch den Bombenabwurf auf Hiroshima. Vielmehr beruht diese auf der Mangelernährung vor und nach der Tragödie, welche nur durch rohe Kartoffeln begünstigt wurde. Daraus resultierten auch seine Netzhautschädigung des linken Auges, in direkter Folge durch die Diabetes, genau wie sein grauer Star auf dem rechten Auge, die ihn beide dazu zwangen, 2009 das Zeichnen aufzugeben. Die einzige Krankheit, welche direkt auf die Strahlung zurückzuführen wäre, ist die Leukämie, unter der Nakazawa seitdem litt.
Als viertes von sechs Kindern wurde Nakazawa am 14. März 1939 in Hiroshima als Sohn des Kunstmalers Harumi und seiner Frau Kimiyo geboren. Während zwei seiner Brüder nicht in Hiroshima weilten, als die Bombe fiel, fanden sein jüngerer Bruder Susumu der unter einem Balken eingeklemmt war, und seine ältere Schwester Eiko, die von einem Pfosten erschlagen wurde, zusammen mit dem Vater den Tod im brennenden Haus der Familie. Seine Mutter überlebte den Abwurf und gebar wenig später seine jüngere Schwester Tomoko. Aber auch sie sollte nur 4 Monate später durch die Strahlung und an den Folgen der Mangelernährung den Tod finden.
1961 zog Nakazawa, nachdem er eine Lehre als Schildermaler abgeschlossen hatte, nach Tokio und veröffentlichte dort mehrere Mangas, welche sich hauptsächlich um Sport, Science Fiction oder Samurais drehten. Nur 5 Jahre später verstarb auch Nakazawas Mutter im A-Bomben Hospital in Hiroshima. Bei der Aushändigung der sterblichen Überreste seiner Mutter, welche vorher verbrannt wurden, überkam Nakazawa unbändige Wut. Das radioaktive Cäsium hatte die Knochen seiner Mutter so stark zersetzt, das ihm nichts übrig blieb, außer einem Häufchen Asche. Normalerweise bleiben nach dem Verbrennungsprozess noch immer kleinere Knochenfragmente übrig, doch in diesem Fall leider nicht. Ab diesem Tag begann er, sich mit dem Thema Hiroshima und dem Bombenabwurf auseinanderzusetzen.
Es entstand eine sechsteilige Mangareihe, welche er selbst die „Schwarze Serie“ nannte. Zu diesen gehörte unter anderem „Kuroi ame ni utarete“ („Vom schwarzen Regen gepeitscht“). Nach einem Verlagswechsel begann Nakazawa erneut sich die Erlebnisse von der Seele zu schreiben. Es entstanden „Aru hi totsuzen“ („Plötzlich eines Tages“), „Nanika ga okiru“ („Es geschieht etwas“) und „Heiwa no kane“ („Friedensläuten“). Doch erst mit „Ore ha mita“ („Ich habe es gesehen“), einer autobiografischen Erzählung auf 45 Seiten erhielt Nakazawa die Chance, dieses Thema ausführlich darzulegen.
Und so entstand „Hadashi no Gen“ („Der barfüßige Gen“). Nakazawa entschied sich für den Namen Gen, weil dieser im japanischen mehrere Bedeutungen hat, welche aber alle perfekt zu seiner Erzählung und seinem Helden passten. Zum Einen steht das Schriftzeichen von Gen für „Ursprung“ oder „Wurzel“ aber auch für „Element“ und „Quelle“. Die eigentliche Intention war aber die Hoffnung, dass sein Gen einmal für das „gen“ in Ningen (Mensch) stehen würde. So erschien „Hadashi no Gen“ über einen Zeitraum von 12 Jahren von 1973 bis 1985, und wurde bisher in 10 Japanischen und englischen Bänden mit zusammen über 2500 Seiten, sowie als stark gekürzte Version in 4 Bänden, in Deutschland veröffentlicht. Der erste Versuch „Barfuss durch Hiroshima“ in Deutschland zu veröffentlichen, wurde 1982 vom Rowohlt Verlag unternommen, und stellte somit den ersten Manga in deutscher Sprache dar. Doch leider war damals das Interesse an diesem Augenzeugenbericht noch zu gering und es blieb bei nur einer Ausgabe. Doch wer jetzt Angst hat oder sich Sorgen macht, dass ihm bei der deutschen Ausgabe etwas entgeht, denn kann ich beruhigen. Carlsen hat sich bewusst auf die wesentlichen Elemente aus „Hadashi no Gen“ berufen, und nur die unwesentlichen Sachen herausgelassen. Denn Nakazawa führte den Manga weiter bis in die 50er Jahre, und wurde nicht müde, die Atomkraft, die unnötigen Kriege weltweit, und die Drogenproblematik anzuprangern. Unter dieser „Propaganda“ litt auch zusehendst sein Werk, und Carlsen tat gut daran, sich nur auf den Kern der Erzählung zu beschränken.
Zeit seines Lebens kämpfte Nakazawa gegen die Atomkraft, gegen die Kriege und auch immer wieder gegen die Lügen, welche weltweit jede Regierung ihren Bürgern auftischte. 1996 besuchte er außerdem die ebenfalls atomgeplagte Stadt Tschernobyl und ging sogar bis zum Block 4 vor, um dort die Radioaktivität mittels eines Geigezählers zu messen. Als Carlsen von 2004 bis 2005 die Vier Bände von „Barfuss durch Hiroshima“ veröffentlichte, reiste auch Nakazawa nach Deutschland. Dort stellte er bei einer Ausstellung zum Jahrestag des Abwurfes in Hannover einige seiner Werke aus.
Nachfolgend möchte ich euch mit seinem größten Werk, den vier Bänden von Carlsen, sowie den beiden Anime vertraut machen:
Barfuss durch Hiroshima Nr. 1: Kinder des Krieges [Carlsen, November 2004]
Barfuss durch Hiroshima Nr. 2: Der Tag danach [Carlsen, Februar 2005]
Barfuss durch Hiroshima Nr. 3: Kampf ums Überleben [Carlsen, Mai 2005]
Barfuss durch Hiroshima Nr. 4: Hoffnung [Carlsen, August 2005]
Barfuss durch Hiroshima (2-DVD Deluxe Edition) [Anime Virtual, April 2006]
Nakazawas „Barfuss durch Hiroshima“ ist ein Meisterwerk, welches auf einer Stufe mit Art Spiegelmans „Maus“ steht, und sich seinen Platz dort auch redlich verdient hat. Mit eindringlichen Bildern und ebenso gefühlvollen Worten vermittelt er jene Angst, welche ihn persönlich in seiner Kindheit begleitet hat. Noch viel mehr als in „Maus“, stehen hier die Emotionen im Vordergrund und dennoch entsteht durch die von ihm gewählte Erzählweise ein Stück weit Distanz. In meinen Augen gehört „Barfuss durch Hiroshima“ mit zu jenen Werken, welche unbedingt auch in Schulen genutzt werden sollten, um Geschichte interessanter und anschaulicher zu gestalten. Denn Schulbücher an sich mögen zwar informativ sein, aber es fehlen die Emotionen und die Spannung durch Einzelschicksale. Und nur wenn diese vermittelt werden, dann besteht die Chance, das Gelernte zu verarbeiten und aus diesen Fehlern zu lernen. Selbst wenn es irgendwann dazu kommt, Nakazawa wird es nicht mehr erleben dürfen. Sein Tod mit nur 73 Jahren ist tragisch.
Ich hoffe, dass ich mit diesem Special, welches zu großen Teilen meine eigene Meinung widerspiegelt, es geschafft habe, weitere Leser für dieses Meisterwerk zu begeistern. Des Weiteren wünsche ich mir natürlich auch, dass sich solch eine Gräueltat nicht wiederholen wird, und das Nakazawa mit seiner Erzählung das Bewusstsein gegen die Entwicklung und den Einsatz von Atomwaffen bestärkt. Es wäre wirklich ein ganz großer Schritt nach vorne, wenn die Menschheit erkennen würde, dass Kriege niemals eine Lösung für einen Konflikt darstellen, sondern immer, und wirklich immer, nur Opfer fordert. Es kann nie einen Sieger geben, solange Menschenleben dafür geopfert werden müssen.
Keiji Nakazawa hat nun seinen Frieden hoffentlich gefunden und ist wieder vereint mit seiner Familie. Möge er in Frieden ruhen, und mögen seine Erlebnisse und Erzählungen nicht ungehört verhallen, sondern die Menschen berühren und zum Umdenken bewegen.





Barfuss durch Hiroshima Nr. 1: Kinder des Krieges
Barfuss durch Hiroshima Nr. 2: Der Tag danach
Barfuss durch Hiroshima Nr. 3: Kampf ums Überleben
Barfuss durch Hiroshima Nr. 4: Hoffnung








