Die heilige Krankheit: Schatten [Edition Moderne, Oktober 2007]

Dominik_AVAMit dem zweiten Band Schatten schließt Edition Moderne die preisgekrönte deutschsprachige Familienchronik ab.
Epilepsie belastet, Epilepsie belastet nicht nur den betroffenen selbst, sondern auch die Angehörigen.

Die heilige Krankheit

Die heilige Krankheit

Klappentext:

Unvermittelt taucht er hinter Jean-Christophe auf, in Gestalt eines prächtigen Drachens mit gefräßigem Maul – der epileptische Anfall, der den plötzlich wild zuckenden Jungen zu Boden reißt. Derweil steht der kleine Bruder David B. daneben, erschrocken, – manchmal auch staunend, traurig oder voller Hass – immer aber hilflos.

„Diese Geschichte ist eine ungeschminkte Darstellung der Unzulänglichkeiten der medizinischen und sozialen Versorgung und Betreuung von Menschen mit Epilepsie in unserer Zeit, einschließlich der dadurch verursachten Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung“
Dr. med. Günter Krämer, Präsident der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie

„Der geschärfte Blick auf das eigene Verhalten und Empfinden ist das, was die „Heilige Krankheit“ zu einem wirklich großen Comic macht.“
Thomas Meister im Tages-Anzeiger

Die Eltern im Gespräch über Epilepsie.

Die Eltern im Gespräch über Epilepsie.

Herausragend sind die Zeichnungen in Kombination mit dem Text.
Durchgehend in schwarz-weiß gehalten, entfalten die Zeichnungen einen teilweise befremdlich und auch bedrohlich wirkenden Eindruck.
Es sind die Bilder, die sprechen, berichten, dokumentieren, erzählen und erklären. Graphische Metaphern in Kombination mit dem Text.
Wie empfindet ein Mensch, während er einen epileptischen Anfall hat.
Es ist schwierig, diese Situation in Zeichnungen und Worte zu packen, doch David B. schafft es, dem Leser die Krankheit in all ihren Aspekten greifbar zu machen.
Eine Erkrankung, die mit voller Wucht, wie ein Vulkan explodiert. Eine Erkrankung, die nicht nur ihr direktes Opfer nicht mehr loslässt, sondern auch die Umwelt mit in ihren Bann zieht.
Voller Fantasiegestalten (Fabelwesen, Monster, Geister, mythologische Wesen etc.) ist David B.’s autobiografischer Comic.

Der Leser sollte sich auf die Art der Darstellungsweise einlassen, sonst fällt es ihm mit Sicherheit nicht ganz so leicht, Freude bzw. Gefallen an diesem Comic zu finden.
Viele surrealistische Zeichnungen, Metaphern, fremdartige Darstellungsweisen fordern den Leser.
Sachliche Texte stehen im Gegensatz zu Realismus und Fantastik springenden Zeichnungen. Diese beziehen die intime Gefühlswelt der Protagonisten mit ein.
Eine Familie, die immer mehr isoliert wird, eine Familie auf der Suche nach alternativen Heilmethoden, weil konventionelle Medizin scheinbar auch nicht richtig hilft.

David B. hat immer wieder zwischendurch seine Träume aufgezeichnet.
Diese ziehen sich wie ein Verbindungsstück gekonnt durch den gesamten Band.
In den Traumszenen ist Kontinuität von Raum und Zeit nicht immer gegeben, wie ein echter Traum.
Oftmals werden in diesen Träumen Situationen verarbeitet, die in Bezug zu seinem Bruder und den epileptischen Anfällen stehen.
Gibt es eine Möglichkeit, seinem Bruder zu helfen?

David B. und seine persönliche Schutzmauer im Gespräch.

David B. und seine persönliche Schutzmauer im Gespräch.

Sein Bruder lebt derweil in einer Einrichtung in Paris. Auch David B. und seine Schwester leben nicht mehr bei der Familie. Gemeinsame Besuche finden jedoch regelmäßig statt.
Die Familie hat weiterhin versucht (ähnlich wie im ersten Band), alternative Heilmethoden auszuprobieren.
Von diesen Erfahrungen mit den verschiedensten Methoden (Ärzte, Gurus, Makrobiotik, asiatischen fernöstlichen Ansätzen etc.) wird ausführlich berichtet.
Letztendlich kann alles nicht so recht helfen.
David B. hat sich eine Mauer aus Kreaturen, fremden Gestalten, Wesen aus einer fiktiven Welt aufgebaut. Diese Wesen trifft er immer wieder an, um mit ihnen über seine Problematik in Bezug auf die epileptischen Anfälle des Bruders zu reden.
David B. flüchtet sich in das Schreiben von Comics und Büchern.
Zwischenzeitlich glaubt er selber, er sei verrückt und andersartig als „die anderen“ Menschen.
Die herausfordernde Beziehung zu seinem Bruder scheint David B. sehr zu belasten. Wie kann er am besten damit umgehen. Gibt es überhaupt die Möglichkeit, seinem Bruder von den epileptischen Anfällen zu befreien?
Durch neue Medikamente scheint beinahe der Durchbruch zu kommen, die epileptischen Anfälle lassen nach. Doch sein Bruder wird immer aggressiver. Sein Verhalten wird immer bedrohlicher und auch gefährlicher. Letztendlich überwiegen Wahnvorstellungen …

In der Zwischenzeit hat David B. eine Beziehung. Es entsteht der Kinderwunsch, doch das Thema Epilepsie spielt nicht nur am Rande eine Bedeutung.
Sehr amüsant beschreibt David B. seine Schwierigkeiten mit dem Sperma. Kinder zu bekommen ist auch nicht immer einfach, und so müssen mehrere Untersuchungen in Bezug auf sein Sperma gemacht werden, ehe die Beziehung letztendlich auch wieder auseinandergeht.
Äußerst aufrichtig und ehrlich kommt diese Episode daher.

Hinter alldem steht für David B. die Frage: Wie komme ich mit mir selber ins Reine in Bezug auf die Epilepsie seines Bruders.
Es wird sehr deutlich, dass David B. die Epilepsie seines Bruders ein ganzes Leben begleiten wird.

Das Ende ist noch einmal sehr interessant.
Sein Bruder behauptet (ähnlich wie ein Prophet) er wird in naher Zukunft sterben …
Ein letztes Gespräch zwischen David B. und seinem Bruder gibt Aufschluss über die Sehnsüchte, Zugehörigkeit, Ängste und Herausforderungen der beiden Brüder zueinander, ehe der Band endet.

Der Leser schlägt das Buch zu und die Geschichte verschwindet nicht spurlos.

David B. ärgert seinen Bruder.

David B. ärgert seinen Bruder.

Die „heilige Krankheit“ ist definitiv für jeden anspruchsvollen Fan grafischer Literatur ein Muss.
Es ist mit Abstand eine niveauvolle Lektüre, die zugleich faszinierend, lehrreich und ergreifend ist.
Es ist eine sehr intime sowie intensive und ehrliche Familiengeschichte.
Sprachlich wie auch zeichnerisch sehr außergewöhnlich auf dem europäischen Comicmarkt.
Hinzu kommt ein sensibles Thema, welches sehr ansprechend von David B. aufbereitet worden ist.
Wenn der Leser überlegt, sich diese Reihe zu kaufen, sollte er sich auf das Thema der Epilepsie, sowie auf die außergewöhnlichem, abstrakten mit Metaphern versehenen Zeichnungen einlassen können.

Der Lesefluss ist durch die grafische Darstellungsweise in diesem Band nicht negativ beeinflusst.
Während ich mich im ersten Band noch etwas schwergetan habe mit der inhaltlich und zeitlich versetzten Erzählweise, so war dies für mich in diesem Band überhaupt kein Problem mehr.
Dieser Band liest sich am Stück sehr gut. Er ist nachvollziehbar, fordernd und authentisch.

Der Band enthält ein Vorwort über David B. und am Ende ein Nachwort.
Für ein besseres Verständnis zu dieser Comic Reihe, empfehle ich meinen ausführlichen Bericht zum ersten Band.

David B. Die heilige Krankheit: Geister

Amazon Partnerlinks:

Komplettsett (Band 1 und 2 zum Preis eines Bandes)
Die heilige Krankheit: Geister (Band 1)
Die heilige Krankheit: Schatten (Band 2)

Copyright aller verwendeten Bilder © Edition Moderne

Ein Kommentar zu “Die heilige Krankheit: Schatten [Edition Moderne, Oktober 2007]

  1. Hat mir auch sehr gut gefallen, in einer Liga mit Graphic Novels wie MAUS oder STADT AUS GLAS.

    Bin eh ein Fan von David B. Ich liebe v.a. die Western-Fabel DER HOP-FROG-AUFSTAND, die Piraten-Phantastik KAPITÄN SCHARLACH und die Geschichts-Satire AUF DUNKLEN WEGEN.

    Like

Hinterlasse eine Antwort zu z-wie-klugscheisser Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..