Die Übertragung [avant–verlag, April 2013]

Heute möchte ich über eine sensationelle Entdeckung meinerseits berichten, nämlich über den hervorragenden Comic von Manuele Fior: „Die Übertragung“.

Aufmerksam geworden auf Manuele Fior bin ich durch den meiner Meinung nach sehr gelungenen Comic: Fünftausend Meter in der Sekunde“. Dieser hat mir so gut gefallen, dass ich bereits mit einer enormen Vorfreude auf sein neuestes Werk gewartet habe. Haben mich in “Fünftausend Meter in der Sekunde” die schönen Zeichnungen und allem voran die Farbgebung maßgeblich umgehauen in Kombination mit einer hervorragenden Story, so sieht es auf den ersten Blick bei „Die Übertragung“ ganz anders aus.

Die Übertragung

Zeichnerisch ist der gesamte Band in schwarz – weiß gehalten. Bereits das Cover enthält dementsprechend keine Farbgebung. Zeichnerisch hat mir dieser Band auch ohne Farbe äußerst gut gefallen. Ein wenig gewöhnungsbedürftig sind allerdings die Gesichter und deren Formen. Diese wirken durchaus etwas unpassend zum gesamten Körper der Figuren, was aber in Bezug auf die Story und deren Verlauf nicht weiter tragisch ist. Die Gesichter wirken teils etwas rund, teils etwas lang gezogen, wahrscheinlich verstärkt die enorme Ausdrucksweise der gezeichneten Augen diesen Eindruck. Die Zeichnungen sind nicht zu sehr detailverliebt im Hintergrund sowie an den Charakteren selber. Alles ist schön zu erkennen und für den Leser wahrzunehmen. Dennoch, etwas mehr Detailverliebtheit würde meiner Meinung nach nicht schaden. Richtig gut zur Geschichte passend gelingt es Manuele Fior die Zeichnungen so zu gestalten, dass durch diese die Spannung stellenweise bis ins Unermessliche steigt. So gibt es in einer Szene auf knapp 2 Seiten nahezu nur Dunkelheit zu sehen. Die Zeichnungen skizzieren ein Wechselspiel zwischen Licht und Schatten, zwischen Tag und Nacht. Immer wieder aufgelockert durch beeindruckende panoramaartige Ansichten, die den Leser in den Seiten schwelgen lassen. Eine lockere und durchaus erschwingliche Atmosphäre wird am Tag unter anderem durch gekonnt in Szene gesetzte Aquarelltupfer erzeugt. Dies geschieht vornehmlich in wichtigen Gesprächen der einzelnen Charaktere.

Die Aufmachung dieses Bandes kann sich ohne Kompromisse sehen lassen. Im Hardcover-Format (Maße: 22,8 x 30,7 cm ) auf 176 Seiten macht der Berliner Avant – Verlag absolut nichts falsch.

Ohne ein Vorwort geht es direkt mit der Geschichte auch schon los:

KLAPPENTEXT

In einer nahen Zukunft ist die gesellschaftliche Entwicklung erstarrt. Während sich die reiche Oberschicht in Enklaven auf dem Land absondert, übernehmen die jungen Menschen die aufgegebenen Stadtzentren und suchen dort nach einem anderen Leben. Raniero, ein Psychologe in den 50ern, kriegt mit der enigmatischen Dora, einem Mitglied der Bewegung „Die Neue Konvention“, eine neue Patientin, die ihn aus seinem schematischen Alltag reißt. Dora behauptet, telepathische Fähigkeiten zu haben und seltsame Formen am Himmel zu sehen – Zeichen einer außerirdischen Zivilisation. Visionen, die auch Raniero teilt …

Das Szenario mag vielleicht den ein oder anderen vom Klappentext her etwas irritieren, jedoch sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Die Story weiß von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln.
Der anfängliche Autounfall und der erste Kontakt mit den schier unerklärlichen Phänomenen sind wahrhaftig gut in Szene gesetzt. Allein nach dieser Anfangssequenz möchte man schon unbedingt Wissen, wie es den hier weitergeht. Und all die entstehenden Fragen werden zumindest im Ansatz letztendlich auch beantwortet, wobei dem Leser zum Ende hin genügend Spielraum für seine eigenen Gedanken bleiben. In erster Linie geht es hier zum einen um die seltsamen unerklärlichen Phänomene am Himmel aber ebenso um die Beziehungen der Menschen untereinander. Generationenübergreifende Fragen und Verhaltensweisen werden angesprochen und thematisiert, so zum Beispiel die Ehe und das Thema Familie. Raniero hatte einen Autounfall, und seine Frau ist gerade dabei, ihn zu verlassen. Auf der Arbeit begegnet Raniero seiner neuen Patientin, die anscheinend dieselben mysteriösen Zeichen am Himmel sehen kann. Es entwickelt sich eine äußerst spannende Geschichte, die vorwiegend auch die Beziehungskonflikte der einzelnen Charaktere behandelt. So gehört Ranieros Patientin der neuen Konvention an, was bedeutet: Im Artikel 1 steht, die neue Konvention gründet sich auf dem Prinzip der Nichtexklusivität. Es scheint Raniero schon abstoßend genug, dass sich zwei Personen gleichzeitig von jemandem angezogen fühlen können.
Diese auftretenden Konflikte zwischen jungen andersdenkenden Menschen und der älteren Generation werden von Manuele Fior gekonnt thematisiert, ohne letztendlich den Bezug zu den seltsamen Phänomenen zu verlieren. Zum Ende der Geschichte rücken diese seltsamen Phänomene wieder in den Vordergrund und entwickeln ein überraschendes durchaus befremdliches Ende. Über das gesamte Album hinweg entsteht beim Leser eine Art Faszination und Befremdlichkeit dem übernatürlichen gegenüber. Einerseits meint der Leser durchaus alles schon Mal so oder ähnlich anderswo gelesen zu haben, um dann im selben Augenblick Raum und Boden unter den Füßen zu verlieren. Dieses Wechselspiel von Vertrautheit und Faszination gepaart mit Fremdheit entfalten eine enorme Spannung, die sich wahrhaftig bis zum Ende zieht. Einzig und allein eben dieses Ende könnte dem ein oder anderen missfallen, was aber meiner Meinung nach Geschmackssache ist.

Dominik_AVAAlles in allem habe ich mich sehr gefreut, dieses Werk lesen zu dürfen. Auch wenn mir „Fünftausend Meter in der Sekunde“ etwas besser gefallen hat, aber das mag wohl wirklich größtenteils an der tollen Farbgebung liegen, die hier einfach „fehlt“ (was nicht weiter schlimm ist, da die Zeichnungen wirklich gut zur Geschichte passen auch ohne „Farbe“). Die Story mag auf den ersten Blick unspektakulär oder auch belanglos klingen, aber ich kann wirklich nur noch mal sagen: Lasst euch davon nicht irritieren.

Copyright aller verwendeten Bilder © 2013 Avant – Verlag & Manuele Fior

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