Zeig mir das Meer [Panini Comics, April 2021]

Immer wieder einmal erscheinen Comics, oder auch Werke, die aufgrund ihrer Thematik schon etwas Besonderes sind. Vor 10 Jahren, als die aufstrebende LGBTQ-Bewegung um mehr Aufmerksamkeit und Akzeptanz kämpfte, war „Blau ist eine warme Farbe“ eines jener Werke, welches durch seine Aufmachung, Erzählweise und Figuren schnell die Kritiker überzeugte. Gerade im Bereich der Comics hat dies für einen großen Umschwung gesorgt. Inzwischen sind einige der bekanntesten Superhelden nachträglich als homosexuell geoutet, bei den X-Men gab es die erste gleichgeschlechtliche Hochzeit und vieles mehr. Nun erschien, ausgerechnet beim US-Comicverlag DC und ganze 10 Jahre nach „Blau ist eine warme Farbe“ ein neues Werk, an dem die New Times-Bestsellerzeichnerin Julie Maroh und der mit dem Lambda-Award ausgezeichnete Autor Alex Sanchez zusammengearbeitet haben. Aber hat diese Kooperation auch das Zeug sich mit Julie Marohs Erstlingswerk messen zu können?

Zeig mir das Meer

Autor/in: Alex Sanchez
Zeichner/in:
Julie Maroh
Format:
Softcover
Umfang:
212 Seiten
Inhalt:
You Brought Me The Ocean
Verlag:
Panini Ink/Panini Comics
Preis:
16,99 Euro

Warum versteht Jakes Mutter ihn einfach nicht. Aus welchem Grund scheint das Meer ihn so magisch anzuziehen und wieso muss er mit seiner Mutter ausgerechnet im trockensten Teil New Mexikos leben. Sicher, er hat Maria, seine beste Freundin, aber auch vor ihr hat Jake seine Geheimnisse. Und das sind nicht nur die seltsamen Male auf seiner Haut, die bei Berührung mit Wasser zu leuchten beginnen, sondern auch diese merkwürdigen Gefühle, die Jake immer bekommt, wenn er Kenny Liu aus dem Schwimmclub sieht. Als wenn das alles nicht schon kompliziert genug ist, erwachen bei Jake während eines gemeinsamen Ausflugs mit Kenny nicht nur richtig ernste Gefühle für Kenny, sondern auch merkwürdige Kräfte, die es ihm noch schwerer machen sich selbst und seinen Körper zu verstehen und so beginnt eine emotionale Achterbahnfahrt, für den Jungen der sowieso schon ein Außenseiter ist …

Ja, inzwischen sind Coming Out-Geschichten eigentlich nichts Außergewöhnliches mehr und dennoch nimmt „Zeig mir das Meer“ eine andere, durchaus wichtige Stellung ein. Dies beginnt schon bei den Figuren. Jake, als junger Afroamerikaner, mit ungewöhnlichen Malen und Kräften und definitiv keiner „normalen“, oder was viele als „normal“ deklarieren würden, Sexualität. Alex Sanchez bürdet seiner Hauptfigur einiges auf, besonders was die Emotionen und Geheimnisse in seinem Leben betrifft. Was diesen Band aber neben seiner durchaus noch immer wichtigen Thematik so besonders macht ist, dass die gesamte Handlung fest im DC-Universum verankert ist, die bekannten Superhelden aber nur Beiwerk sind. Die Hauptfiguren sind Jake und seine Mutter, seine beste Freundin Maria und ihre Familie und natürlich Jakes große Liebe Kenny und sein alleinerziehender Vater, der dazu auch noch im Rollstuhl sitzt. All diese normalen Menschen reden von Superman, Aquaman und Co. als seien sie das normalste der Welt. Superman fliegt vorbei, um ein verschollenes U-Boot zu finden, aber er ist nur im Hintergrund oder im Fernsehen zu sehen. Hier erinnert „Zeig mir das Meer“ mit seiner Sichtweise der normalen Menschen, ein wenig an Marvels Meisterwerk und Klassiker „Marvels“.

Unterstützt wird Alex Sanchez dabei von Julie Maroh, die mit ihrem Erstling „Blau ist eine warme Farbe“ (das Review dazu findet ihr hier) gleich weltweite Aufmerksamkeit erlangte. Auch bei „Zeig mir das Meer“ sind es wieder ihre einfühlsamen Charakterzeichnungen, die sehr viele der enthaltenen Emotionen transportieren. In vielen Bildern sieht und spürt man diese innere Zerrissenheit, die diesen jungen Mann quälen. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Protagonisten. Jakes Mutter, die ihr Leben der Sicherheit ihres Sohnes gewidmet hat, dabei ihr eigenes „Leben“ für das Wohl von Jake „geopfert“ hat und vielleicht den größten Fehler ihres Lebens damit gemacht hat. Diese Unsicherheit spiegelt sich in sehr vielen Panels wider, vor allem in der Traurigkeit ihrer Augen. Dem gegenüber steht Kenny, der sehr selbstsicher und fröhlich wirkt. Als Asiate sticht er mit seiner offen „gelebten“ Sexualität mindestens genauso heraus, wie mit seinen blauen Haaren. Moment mal, blaue Haare? Hatten wir das nicht schon einmal? Ja, auch hier ist es der „andere“ Part, der mit blauen Haaren seine „Selbstsicherheit“ nach Außen trägt, wie schon bei „Blau ist eine warme Farbe“, nur dass es da Emma war. Aber das ist auch die einzige direkte Ähnlichkeit. Julie Maroh war es wichtig, dass die wichtigsten Figuren in diesem „Abenteuer“ keine normalen durchschnittlichen Jedermannmenschen sind. So sieht man Jakes bester Freundin Maria ihre mexikanische Herkunft schon bei ihrem ersten Auftritt und auch die Vertrauenslehrerin Ms. Archer ist als amerikanische Ureinwohnerin eine wichtige emotionale Stütze für die jungen Menschen. Die einzige weiße Standardfigur ist mit der Rolle des toxischen Zeke besetzt, der durch seine Gefühllosigkeit und seine vertrockneten Ansichten der typische Gegenpart ist und leider einen immer noch existenten Teil der Gesellschaft widerspiegelt.

Wollte man „Zeig mir das Meer“ ganz einfach beschreiben, was natürlich schon aufgrund seiner Komplexität nicht wirklich funktioniert, dann wird man es wohl noch am ehesten mit einer Mischung aus „Marvels“ und „Blau ist eine warme Farbe“ vergleichen. Doch, wie bereits erwähnt fast das „Zeig mir das Meer“ nicht annähernd zusammen. Zwar ist diese Koproduktion nicht mit Marohs Erstlingswerk gleichzusetzen, aber es stellt dennoch einen wichtigen Baustein zu dem dar, was mit „Blau ist eine warme Farbe“ begann und zementiert diesen Weg ein ganzes Stück weiter.
Mit hauseigenen Imprint „Panini Ink“ will Panini zwar eine jüngere Leserschaft erreichen, aber in diesem Fall wird bewusst darauf hingewiesen, dass der Band erst ab 13 Jahren empfohlen wird und das bedeutet nicht, dass man als älterer oder erfahrenerer Leser an diesem Band nicht seine Freude haben wird, oder sogar noch etwas daraus lernen kann. Wer Julie Marohs Erstling geliebt hat, wird auch hier nicht enttäuscht werden. Ich für meinen Teil finde sogar, dass diese beiden Werke ein wichtiger Teil des Schullehrplans und der „Schulbücherei“ bilden sollte, denn Toleranz und Akzeptanz ist noch immer etwas wofür wir alle verantwortlich sind.

Copyright aller verwendeten Bilder © 2020-2021 DC Comics / Panini Comics

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