Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry von Rachel Joyce [8. Auflage, Februar 2014]

Dominik_AVAWenn jemand eine Reise tut,
So kann er was erzählen;
Drum nahm ich meinen Stock und Hut,
Und tät das Reisen wählen.

Matthias Claudius, 1740-1815

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

Ich werde laufen. Die Wanderung, das ist der Sinn.“
Eigentlich will Harold Fry nur einen Brief einwerfen an seine frühere Kollegin Queenie Hennessy, die im Sterben liegt. Doch dann läuft er am Briefkasten vorbei und auch am Postamt, aus der Stadt hinaus und immer weiter, 87 Tage, 1000 Kilometer. Zu Fuß von Südengland bis an die schottische Grenze zu Queenies Hospiz. Eine Reise, die er jeden Tag neu beginnen muss. Für Queenie. Für seine Frau Maureen. Für seinen Sohn David. Für sich selbst. Und für uns alle.
Ein ganz außergewöhnlicher und tief berührender Roman – über Geheimnisse, besondere Momente und zufällige Begegnungen, die uns von Grund auf verändern.

„Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ ist das erste Buch von Rachel Joyce.
Ihr Buch wurde bereits auf der ganzen Welt, in über dreißig Sprachen gelesen. Dieses Buch wurde für den „Booker – Preis“ nominiert, mit dem „Specsavers National Book Award“ für das beste Debüt prämiert und eroberte in mehr als 30 Ländern die Bestsellerlisten (unter anderem Spiegel Bestsellerliste: Platz 1). Zu alledem wird ihr Roman in absehbarer Zukunft verfilmt werden.
Rachel Joyce und ihr Mann leben mit vier Kindern in Gloucestershire (Südwesten von England) auf dem Land.

Ließt man sich die vielen positiven Kritiken im Internet durch, so war ich auch bei diesem Buchkauf äußert zuversichtlich, dass mir dieser Roman gut gefallen wird.
Der Klappentext allein und die vielen positiven Kritiken (bei Amazon allein schon mehr als 660
4,5 Sterne Kritiken sowie die bereits 8. Auflage) haben mich überzeugt.

Vorweg, dieses Buch ist absolut kein „Action Buch“, es ist ein ruhiges Buch, welches eine andere Art von Spannung aufbaut. Diese Art von Spannung, die sich durch das Buch zieht, habe ich so bisher noch nicht kennengelernt.

Auf 379 Seiten entfaltet sich die Geschichte rund um Harold und seine Familie und Queenie Hennessy.
Queenie hat Krebs und liegt im Hospiz, um zu sterben.

Harold ist frisch pensioniert, hat einen Sohn David und seine Frau Maureen.
Die Ehe zwischen ihnen ist nicht mehr das, was sie einmal gewesen ist.
David wohnt schon lange nicht mehr bei der Familie.

Queenie war eine sehr gute Arbeitskollegin, von der er sich damals als sie weggezogen ist, leider nicht mehr verabschieden konnte. Sie haben sich bereits seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen.
Harold bekommt einen Brief von Queenie, in diesem teilt sie ihm ihre Diagnose mit.
Harold möchte ihr antworten, und begibt sich zum nächsten Briefkasten, doch daraus wird ein langer Weg…

Und so begibt sich Harold von einem Ort zum nächsten auf seiner Reise zu Queenie nach Berwick upon Tweed.

Während dieser Zeit kommen ihm allerlei Gedanken und Erinnerungen auf. Diese Erinnerungen drehen sich um Maureen, Queenie, sich selbst und seinen Sohn.
Nach und nach fügen sich diese Erinnerungen zu einem Großen und Ganzen zusammen.
Während seiner Reise von Ort zu Ort begegnet Harold vielen fremden Menschen, denen er seine Beweggründe erläutert. Harold selbst ist für viele dieser Fremden Menschen ein stiller Zuhörer. Viele dieser Menschen erzählen auch Harold ihre persönlichen Belange des Alltags bzw. ihres Lebens. Dabei macht Harold des öfteren die Erkenntnis, dass nicht alle Menschen auf den ersten Blick, so sind, wie es den Anschein hat. Harold erlebt viele wundersame Begegnungen, die den Leser wie ihn selbst berühren und verändern.
So trifft Harold zum Beispiel auf eine junge Dame in einer Tankstelle, die ihm sagt, wie wichtig der richtige Glaube an eine Sache doch sei, oder in einem Café trifft Harold auf einen gut gekleideten Gentleman mit einem interessanten Geheimnis. Einige Leute geben Harold für eine Nacht eine Unterkunft und unterhalten sich ein wenig. Viele fremde Begegnungen, die sein Leben auf eine kurze aber prägnante Art und Weise beeinflussen bzw. verändern.

Ungefähr die nächsten 200 Seiten verhält sich dieser Roman im Wechsel zwischen Ortschaften, fremden Begegnungen, Landschaftsbeschreibungen, die aber nicht zu ausgiebig sind und den persönlichen Erinnerungen von Harold an Maureen, David und Queenie. Hin und wieder beschreibt Rachel Joyce das Geschehen aus der Sicht von Maureen und auch ihr einsamer Nachbar Rex bekommt einen Platz in der Geschichte.

Ehrlich gesagt, die ersten 200 Seiten haben mich nicht sonderlich fesseln können. Der Roman ist interessant, aber es kommt irgendwie nicht die gewohnte Spannung auf, so wie ich sie aus bisherigen Romanen gewohnt bin. Viele Hinweise und Erinnerungen von Harold reißen nur einen kleinen Teil des Gesamten an. So schafft es die Autorin für mich leider nicht diese gewisse Spannung aufzubauen, die ich vielleicht erwartet habe. Die kleinen Hinweise, die kleinen Ereignisse der Vergangenheit führen den Leser zu nichts Konkreten zu Beginn. Sie schaffen es irgendwie nicht diese Spannung zu erzeugen, denn jedes Mal wenn der Leser denkt, es könnte jetzt spannend werden, erzählt die Autorin wieder von etwas anderem.

Auf diesen ersten 200 Seiten hatte ich mehrmals dieses Gefühl von, „hmm ja der Roman liest sich ganz nett, haut mich aber nicht von den Socken!“

Aber eben durch diese kleinen Anspielungen, die stets kontinuierlich gegeben werden, baut sich ganz langsam aber gewiss eine Spannung auf, die man erst nicht so recht wahrzunehmen weiß.

Ungefähr ab Seite 200 beginnt sich für Harold die Reise zu verändern. Er trifft auf viele neue Leute, die sich ihm anschließen wollen. Harold seine sogenannte Pilgerreise schafft es sogar in das Fernsehen.

Von diesem Zeitpunkt an hat mich das Buch erwischt. Nun konnte ich nicht mehr anders, als einfach weiterzulesen. Das Ende scheint vorhersehbar, ist es einerseits auch aber dennoch gibt es einen Kniff, den ich so absolut nicht habe kommen sehen.

Mit der Ankunft im Hospiz in Berwick upon Tweed schließt sich der Kreis. Natürlich will der Leser von Anfang an Wissen, ob Queenie auf seine Ankunft wartet, bevor sie sterben muss.
Diese Frage drückt sich dem Leser von Anfang an aufs Auge.

Stellenweise musste ich mich persönlich fragen, ob die Zielgruppe eher Frauen seihen und weniger Männer. Diese Frage musste ich mir mehrmals stellen, weil die Beziehungsschwierigkeiten zwischen Maureen und Harold mir doch manchmal zu viel wurden. Teilweise hatte ich das Gefühl, dass diese Beziehungsprobleme genauso gut in ein Buch für Frauen gepasst hätten. Ich möchte damit nicht sagen, dass es kitschig oder so geschrieben ist, ganz im Gegenteil aber nun ja ich fühlte mich stellenweise etwas fehl am Platz.

Das Thema Liebe scheint über allem zu stehen und das merkt man auch in Bezug auf Harold und Maureen. Die Beziehung zwischen den beiden ist auseinandergelaufen und sehr oft wird analysiert, worin dies begründet liegt. Für mich ist dies stellenweise einfach zu viel davon gewesen.
In Kombination mit dieser neuartigen mir bisher unbekannten Spannung, die sich so schleppend aufgebaut hat, ist dieses Buch eine interessante Erfahrung für mich gewesen.

Nun, ich kann gar nicht so recht sagen, was ich von diesem Buch halten soll. Es ist keinesfalls schlecht! Es ist aber für meinen Geschmack auch keineswegs ein Überflieger, wobei Frauen das vielleicht wirklich ganz anders beurteilen würden. Es entwickelt sich eine ruhige langsame, vielleicht auf den ersten Blick auch belanglose Geschichte, mit einer Spannung, die ich irgendwie auch nicht richtig benennen kann. In diesem Sinne, wer auf Action, Mord und Totschlag steht, der hat an diesem Buch wirklich rein gar nichts verloren. Wer aber Interesse an einer sehr einfühlsamen Geschichte, die das Herz der Leser berühren wird, sowie sich mit Beziehungsproblemen allgemein in der Familie auseinandersetzen mag und das Thema Krebs mit einbeziehen kann, der macht mit dieser Lektüre absolut nichts falsch.
Nicht umsonst gibt es so viele positive Kritiken, höhere Auflagen, eine baldige Verfilmung und dieses Buch weltweit in über 30 Ländern und Sprachen käuflich zu erwerben.

Zu diesem Buch erhält der Leser die Möglichkeit, am Ende nach der Danksagung, sich die Pilgerreise von Harold Fry in Form einer Landkarte mit den einzelnen Stationen seiner Reise, anzusehen. Zusätzlich enthält dieses Buch eine kurze zweiseitige Leseprobe von Rachel Joyce ihren neuem Roman: „Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte.“

Copyright des Covermotives © 2014 Fischer Taschenbuch Verlag

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Die Übertragung [avant–verlag, April 2013]

Heute möchte ich über eine sensationelle Entdeckung meinerseits berichten, nämlich über den hervorragenden Comic von Manuele Fior: „Die Übertragung“.

Aufmerksam geworden auf Manuele Fior bin ich durch den meiner Meinung nach sehr gelungenen Comic: Fünftausend Meter in der Sekunde“. Dieser hat mir so gut gefallen, dass ich bereits mit einer enormen Vorfreude auf sein neuestes Werk gewartet habe. Haben mich in “Fünftausend Meter in der Sekunde” die schönen Zeichnungen und allem voran die Farbgebung maßgeblich umgehauen in Kombination mit einer hervorragenden Story, so sieht es auf den ersten Blick bei „Die Übertragung“ ganz anders aus.

Die Übertragung

Zeichnerisch ist der gesamte Band in schwarz – weiß gehalten. Bereits das Cover enthält dementsprechend keine Farbgebung. Zeichnerisch hat mir dieser Band auch ohne Farbe äußerst gut gefallen. Ein wenig gewöhnungsbedürftig sind allerdings die Gesichter und deren Formen. Diese wirken durchaus etwas unpassend zum gesamten Körper der Figuren, was aber in Bezug auf die Story und deren Verlauf nicht weiter tragisch ist. Die Gesichter wirken teils etwas rund, teils etwas lang gezogen, wahrscheinlich verstärkt die enorme Ausdrucksweise der gezeichneten Augen diesen Eindruck. Die Zeichnungen sind nicht zu sehr detailverliebt im Hintergrund sowie an den Charakteren selber. Alles ist schön zu erkennen und für den Leser wahrzunehmen. Dennoch, etwas mehr Detailverliebtheit würde meiner Meinung nach nicht schaden. Richtig gut zur Geschichte passend gelingt es Manuele Fior die Zeichnungen so zu gestalten, dass durch diese die Spannung stellenweise bis ins Unermessliche steigt. So gibt es in einer Szene auf knapp 2 Seiten nahezu nur Dunkelheit zu sehen. Die Zeichnungen skizzieren ein Wechselspiel zwischen Licht und Schatten, zwischen Tag und Nacht. Immer wieder aufgelockert durch beeindruckende panoramaartige Ansichten, die den Leser in den Seiten schwelgen lassen. Eine lockere und durchaus erschwingliche Atmosphäre wird am Tag unter anderem durch gekonnt in Szene gesetzte Aquarelltupfer erzeugt. Dies geschieht vornehmlich in wichtigen Gesprächen der einzelnen Charaktere.

Die Aufmachung dieses Bandes kann sich ohne Kompromisse sehen lassen. Im Hardcover-Format (Maße: 22,8 x 30,7 cm ) auf 176 Seiten macht der Berliner Avant – Verlag absolut nichts falsch.

Ohne ein Vorwort geht es direkt mit der Geschichte auch schon los:

KLAPPENTEXT

In einer nahen Zukunft ist die gesellschaftliche Entwicklung erstarrt. Während sich die reiche Oberschicht in Enklaven auf dem Land absondert, übernehmen die jungen Menschen die aufgegebenen Stadtzentren und suchen dort nach einem anderen Leben. Raniero, ein Psychologe in den 50ern, kriegt mit der enigmatischen Dora, einem Mitglied der Bewegung „Die Neue Konvention“, eine neue Patientin, die ihn aus seinem schematischen Alltag reißt. Dora behauptet, telepathische Fähigkeiten zu haben und seltsame Formen am Himmel zu sehen – Zeichen einer außerirdischen Zivilisation. Visionen, die auch Raniero teilt …

Das Szenario mag vielleicht den ein oder anderen vom Klappentext her etwas irritieren, jedoch sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Die Story weiß von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln.
Der anfängliche Autounfall und der erste Kontakt mit den schier unerklärlichen Phänomenen sind wahrhaftig gut in Szene gesetzt. Allein nach dieser Anfangssequenz möchte man schon unbedingt Wissen, wie es den hier weitergeht. Und all die entstehenden Fragen werden zumindest im Ansatz letztendlich auch beantwortet, wobei dem Leser zum Ende hin genügend Spielraum für seine eigenen Gedanken bleiben. In erster Linie geht es hier zum einen um die seltsamen unerklärlichen Phänomene am Himmel aber ebenso um die Beziehungen der Menschen untereinander. Generationenübergreifende Fragen und Verhaltensweisen werden angesprochen und thematisiert, so zum Beispiel die Ehe und das Thema Familie. Raniero hatte einen Autounfall, und seine Frau ist gerade dabei, ihn zu verlassen. Auf der Arbeit begegnet Raniero seiner neuen Patientin, die anscheinend dieselben mysteriösen Zeichen am Himmel sehen kann. Es entwickelt sich eine äußerst spannende Geschichte, die vorwiegend auch die Beziehungskonflikte der einzelnen Charaktere behandelt. So gehört Ranieros Patientin der neuen Konvention an, was bedeutet: Im Artikel 1 steht, die neue Konvention gründet sich auf dem Prinzip der Nichtexklusivität. Es scheint Raniero schon abstoßend genug, dass sich zwei Personen gleichzeitig von jemandem angezogen fühlen können.
Diese auftretenden Konflikte zwischen jungen andersdenkenden Menschen und der älteren Generation werden von Manuele Fior gekonnt thematisiert, ohne letztendlich den Bezug zu den seltsamen Phänomenen zu verlieren. Zum Ende der Geschichte rücken diese seltsamen Phänomene wieder in den Vordergrund und entwickeln ein überraschendes durchaus befremdliches Ende. Über das gesamte Album hinweg entsteht beim Leser eine Art Faszination und Befremdlichkeit dem übernatürlichen gegenüber. Einerseits meint der Leser durchaus alles schon Mal so oder ähnlich anderswo gelesen zu haben, um dann im selben Augenblick Raum und Boden unter den Füßen zu verlieren. Dieses Wechselspiel von Vertrautheit und Faszination gepaart mit Fremdheit entfalten eine enorme Spannung, die sich wahrhaftig bis zum Ende zieht. Einzig und allein eben dieses Ende könnte dem ein oder anderen missfallen, was aber meiner Meinung nach Geschmackssache ist.

Dominik_AVAAlles in allem habe ich mich sehr gefreut, dieses Werk lesen zu dürfen. Auch wenn mir „Fünftausend Meter in der Sekunde“ etwas besser gefallen hat, aber das mag wohl wirklich größtenteils an der tollen Farbgebung liegen, die hier einfach „fehlt“ (was nicht weiter schlimm ist, da die Zeichnungen wirklich gut zur Geschichte passen auch ohne „Farbe“). Die Story mag auf den ersten Blick unspektakulär oder auch belanglos klingen, aber ich kann wirklich nur noch mal sagen: Lasst euch davon nicht irritieren.

Copyright aller verwendeten Bilder © 2013 Avant – Verlag & Manuele Fior

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