Die heutige Review-Kurzübersicht wartet mit einigen etwas anderen Comics auf. In unregelmäßigen Abständen erscheinen beim Amt für Veröffentlichung der EU Comics, die sich einem gewissen Thema der Europäischen Union widmen. Eines dieser Comics ist „Durchstarten“. Der direkte Nachfolger davon ist Neuer Schwung. Auch hier geht es thematisch um das gleiche, wenngleich es andere Figuren aufweist …
Durchstarten [Amt für Veröffentlichungen der EU, 2010]
Vier Menschen, mit vier Schicksalen. Alles für sich und dennoch seltsam miteinander verwoben. Während Julie nach dem Tod ihres Vaters ihrer Mutter die Schuld daran gibt, den Kontakt zu ihr abbricht und in ihrem Leben fortan auf keinen grünen Zweig zu kommen scheint, kämpft Viktor mit seinem Handycap der Blindheit. Doch Viktor hat ein Ziel „vor Augen“ und Hilfe ist nicht weit. Ähnlich geht es Pedro, der ein gut gehendes Restaurant besitzt. Zumindest solange bis die Fabrik in der Nachbarschaft den Standort schließt. Fortan muss Pedro mit seiner Frau um das Überleben kämpfen. Und auch Fianne hat es im Leben nicht leicht. Frühere Fehler haben ihr einen zeitweiligen Aufenthalt im Gefängnis beschert. Danach ist es für sie nicht einfach, wieder ein normales Leben zu führen. Immer wird ihr ihre Vergangenheit zum Verhängnis …
Wenn man es streng nimmt, ist dieser durchaus ansprechend gestaltete Hardcoverband mit 60 Seiten Umfang nur Werbung für diverse EU-Programme die Menschen in Ausnahmesituationen helfen wollen. Doch wenn man auch ehrlich ist, wurden diese Handlungen sehr gut inszeniert. Zwar wird fast schon mit dem Holzhammer auf das jeweilige Programm „hingewiesen“, aber dennoch gefallen mir die Szenarien sehr gut. Diese stammen aus der Feder von Rudi Miel, der bereits „Der Baum der zwei Frühlinge“ bei Salleck Publications veröffentlicht hat. Die sehr unterschiedlichen und dennoch stimmigen Zeichnungen stammen hierbei von Christian Durieux („Die anständigen Leute“ zusammen mit Gibrat), Gihef („Verkettet“ und „Hochsicherheit“ zusammen mit Callède), Sylvain Savoia („Marzi“ zusammen mit Marzena Sowa) und Vanyda („Das Jahr des Drachen“ zusammen mit François Duprat). Alle vier haben einen ganz eigenen und sehr markanten Stil, welcher sich dennoch sehr gut mit der jeweiligen Geschichte zusammenfügt.
FAZIT:
Vier gute und auch durchaus emotionale Geschichten mit ansprechenden Zeichnungen kann dieser Band aufweisen. Sieht man von der offensichtlichen Werbung ab und setzt dagegen den Preis von 0 (in Worten „Null“) Euro dagegen, dann kann man wirklich nichts falsch machen.
Neuer Schwung [Amt für Veröffentlichungen der EU, 2010]
Wieder gibt es vier Einzelschicksale und erneut sind diese miteinander verknüpft. Doch in diesem Band sind sie nicht alleine durch die EU verknüpft, sondern in jeder Geschichte gibt es eine Figur, durch deren Verwandtschaft eine Brücke zu einem anderen Schicksal geschlagen wurde. Alex aus Wales ist Fernfahrer und mit seinem Job nicht wirklcih zufrieden. Da kommt es ihm ganz gelegen, dass der Nachbar seiner Oma ihm eine eigentlich ziemlich wahnwitzige Idee unterbreitet. Ganz anders hingegen geht es Nataline, die ein sehr erfolgreiches Model ist. Doch durch ein Burnout-Syndrom steht ihre Karriere jetzt vor dem Aus. Aber sie ist nicht dumm und findet einen neuen Lebensweg. Wesentlich ruhiger ist das Leben von Ivana. Zumindest, bis ihr Vater stirbt und ihr nichts als Schulden hinterlässt. Doch Ivana ist kreativ und lässt sich nicht unterkriegen. Viel schwerer ist das Überleben für Dimitra in Rumänien. Sie lebt mit ihrer ganzen Familie in den ärmlichsten Verhältnissen. Aktuell ist Dimitra schwanger und diese Schwangerschaft scheint sehr problematishc zu werden. Es ist nicht ihr erstes Kind und daher lehnt sie auch jegliche Almosen von Nora, die als Ärztin, durch ein EU-Programm gefördert, in Rumänien unterwegs ist.
Wie auch schon im ersten Band hat die Abenteuer Rudi Miel verfasst. Als Grundlage dienten ihm 54 Interviews von Europäern, die durch ein EU-Förderprogramm einen neuen Lebensinhalt gefunden haben. Erneut stehen so auch wieder diese Programme im Vordergrund, doch Miel versucht wenigstens die Schicksale nicht einfach um die Programme herumzukonzipieren. Bei allen Mühen bleiben dennoch viele der Figuren sehr flach und zeigen kaum Eigenheiten. Da fiel „Durchstarten“, was die Figuren betrifft, ein wenig „persönlicher“ aus. Neben Miel ist auch wieder Vanyda aus Band 1 mit an Bord. Ihre Zeichnungen sehen trotz einer gewissen Ähnlichkeit hier jedoch ganz anders aus. Ich muss sogar gestehen, dass sie mir im ersten Band ein wenig besser gefielen. Hier wirkt es doch stark gehetzt und unsauber. Einen sehr kantigen und dennoch charmanten Stil hat Alexandre Tefenkgi der bereits einige Kurzgeschichten im Comic-Magazin „Spirou“ veröffentlichen durfte. Sehr filigran und für mich ein wenig merkwürdig wirken dagegen die Zeichnungen von Maude Millecamps. Verschobene Perspektiven, verrutschte Gesichter. Alles wirkt unfertig und ziellos. 2010 veröffentlichte Maude bereits ihr erstes Comic-Album „Les gens urbains“, welches auf einem Skript von Jean-Luc Cornette basiert. Die letzte Geschichte wurde von der autodidaktischen Comiczeichnerin You illustriert. Ihr Stil ist sehr lebensnah und neben feinen und detaillierten Hintergründen sind emotionale Gesichter ihre große Stärke. Was sie ihren Figuren durch Mimik an Leben einhaucht, ist sehr eindrucksvoll.
FAZIT:
„Neuer Schwung“ hat einige Dinge besser gemacht als sein Vorgänger, aber leider auch so manches schlechter. Dennoch überzeugen auch hier wieder die Geschichten, von denen einige durchaus die Neugier schüren, wie es denn mit den Menschen darin inzwischen weitergegangen ist. Zeichnerisch gibt es freudige Überraschungen und eine leichte Enttäuschung. Trotzdem kann ich den Band, auch wieder aufgrund des kostengünstigen Preises von 0 Euro weiterempfehlen. Auch wenn man sich nicht mit den Förderprogrammen der EU befassen möchte.

