Ich möchte euch erneut im Rahmen meiner Beschäftigungen mit dem Land Israel ein grandioses Comic-Werk vorstellen. „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ ist eindeutig dem Comic-Genre zuzuordnen, möchte aber weitaus mehr sein, als bloß hübsch erzählt und gezeichnet. Dieser (journalistische) Comic-Bericht gibt dem Leser die Möglichkeit, eine viel präzisere Sicht auf die Umstände in und um Israel zu bekommen. Mit „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ beweist Guy Delisle erneut nach seinen bisherigen großartigen Reportagen („Shenzhen“, „Pjöngjang“ und „Aufzeichnungen aus Birma“), dass im Medium des Comics die drängende Gegenwart sowie vor allem auch politische Themen, bearbeitet werden können und auch sollten.
Im Auftrag von Ärzte ohne Grenzen reist die frankokanadische Ärztin Nadège mit ihrem Mann und zwei Kindern für ein Jahr nach Jerusalem, wo sie im Gasastreifen in einer Station für Nachsorge, Betreuung, Kinderheilkunde und psychologische Beratung arbeiten wird. Ihr Mann Guy betreut tagsüber die Kinder und kümmert sich um den Haushalt. Jegliche freie Zeit nutzt er aus, um Land und Leute kennen zu lernen. Guy Delisle beobachtet in gewohnt lakonisch-humorvoller Manier den Alltag in Jerusalem. Ein sehr persönliches Bild eines Landes entsteht, welches wie kein zweites von jahrzehntelangen blutigen Konflikten geprägt ist.

Bist du ein Jude?
Selten wurden in einem Comic die politischen Verhältnisse in Israel so genau beschrieben. Dazu gehören nicht nur die Karten und Grafiken des Landes, auch illustrierte lexikalische Einträge, Worterklärungen, Schilderungen von Begegnungen und Begebenheiten bzw. allgemein die bekannten Sachverhalte zu erwähnen. So zum Beispiel, dass Israel die einzige Demokratie in der Region sei, allerdings die demokratischen Grundrechte nur seinen Staatsbürgern vorbehalten werde…
Der Leser erfährt auf eine ganz einfache Art und Weise eine ganze Menge über das Land Israel, die Israelis und die Palästinenser. Sehr schön sind die vielen Einzelheiten, die jeweils in kleinen Episoden eingefangenen Beobachtungen von Guy Delisle. So zum Beispiel die voll verhüllten muslimischen Frauen, die in den Supermärkten der jüdischen Siedler einkaufen gehen, oder die Siedler wiederum lassen ihre Autos in den billigen Werkstätten von Wadi AI – Joz reparieren, einem arabischen Viertel in Ost – Jerusalem. Sehr interessant ist allerdings, dass gerade dort als besondere Dienstleistung der Einbau von Kunststoff Fenstern zum Schutz gegen palästinensische Stein Werfer angeboten wird.

Checkpoints an der Klagemauer
All diese feinen Beobachten lassen sich in keinem Nachrichtenbericht wiederfinden. Es sind persönliche Aufzeichnungen und Beobachtungen des Zeichners. Die vielen Absurditäten des Lebens zwischen Israel und dem Westjordanland sind der rote Faden dieses 334 dicken Comic Tagebuches. Ironisch, lustig und zwischendurch auch erschreckend erfährt der Leser ohne Pathos aber mit poetischem Humor, wie Guy Delisle ein Jahr lang in Israel verbracht hat. Es geht nicht um eine Analyse von Israel oder gar eine Anklage den Palästinensern oder Israelis gegenüber, ganz im Gegenteil, die Beobachtungen des Zeichners, seine gemachten Erfahrungen stehen im Vordergrund.
Zeichnerisch lässt Guy all diese absurden Momente in ruhigen, reduzierten Schwarzweißzeichnungen aufscheinen. Hin und wieder gehen diese in Blau Töne über wenn es Nacht wird, andere Farben kommen zwar vor, aber selten. Der Lesefluss dieses Bandes zieht sich meinem Empfinden nach nicht in die Länge, auch wenn dieser Band weitaus über 300 Seiten enthält. Durch die einzelnen Episoden und der einfachen Darstellungsweise lässt es sich sehr angenehm lesen. Die einzelnen Panels enthalten an sich niemals zu viel Text. Einige Episoden kommen sogar fast gänzlich ohne Text aus.
Dieses Buch hat mir persönlich einen sehr guten Einblick in die Verhaltensweisen der Israelis und Palästinenser geben können. Es liest sich durchgehend interessant, beinhaltet doch fast jede Episode einen interessanten (fragwürdigen) oder auch lustigen Aspekt. Die politischen Wirren werden dem Leser umso erschreckender begreiflich dargestellt, wenn Bomben fallen, geschossen wird oder Menschen sterben. Und alles dies geschieht in teilweise unmittelbarer Nähe des Zeichners. Dadurch entsteht beim Leser eine Art beklemmendes Gefühl. Ein erstaunlich differenziertes Bild bekommt der Leser nach dieser Lektüre des Landes Israels, in dem man sich wohl als Ausländer ohne Ansprechpartner oder Reiseführer wohl kaum zurechtfinden würde.

Ein Schwimmbad auch für Frauen..
FAZIT:
Mit den Augen von Guy Delisle sieht man das Nahost – Problem nicht neu, aber um einiges schärfer und differenzierter.
Comic Reportagen sind derzeit ja im Kommen. Wer noch nie eine Comic-Reportage gelesen hat und sich darauf einlassen möchte, macht mit diesem Comic Buch überhaupt nichts falsch. Und all die Leute unter uns, die bereits Erfahrungen mit Comic Reportagen oder auch Berichten gemacht haben, euch kann ich nur sagen, liest dieses Buch. Es ist wahrlich eines der besten Comic-Reportagen über Israel, absolut lohnenswert!
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