Barfuss durch Hiroshima Nr. 1: Kinder des Krieges [Carlsen, November 2004]

Barfuss durch Hiroshima Nr. 1: Kinder des Krieges

Gen Nakaoka ist ein ganz normaler Junge. Seine Eltern lieben ihn, auch wenn sein Vater eine seltsame Art und Weise hat, dies zu zeigen. Und dann sind da noch seine drei Brüder und eine Schwester. Das Leben könnte so schön sein, wenn da nicht die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges wären. Und da insbesondere die Auseinandersetzungen Japans mit Amerika und England.
Denn wie auch ganz Japan, leidet Gens Familie unter der ständigen Angst der Bombenangriffe und der fehlenden Lebensmittel. Der Kaiser hat seine Untertanen darauf eingeschworen, dass nur ein echter Japaner, welcher zu seinem Land steht, auch die Entbehrungen ehrenhaft durchstehen würde, damit Japan siegreich aus diesem Krieg hervorgehen würde. Doch Gens Vater kennt die Wahrheit und scheut sich auch nicht, diese offen auszusprechen. Das führt aber wiederum nur dazu, dass die Familie Nakaoka ab sofort als Verräter gebrandmarkt sind, und sich die Situation noch weiter verschlechtert.
Dennoch beißen sich die Nakaokas tapfer durch ihr Leben, und es scheint gerade ein wenig aufwärtszugehen, als die bekannte B-52 Maschine mit dem Namen Enola Gay und ihrer noch bekannteren Fracht Little Boy am Himmel von Gens Heimatstadt Hiroshima auftaucht …

Das allererste, was einem bei diesem Band auffällt, ist die Art und Weise wie die Japaner untereinander, auch innerhalb der Familien, miteinander umgehen. Denn nicht nur, dass unbedingter Gehorsam gegenüber dem Kaiser und dem japanischen Reich ein Muss ist, sondern auch die Art und Weise, wie Gens Vater seine Liebe zeigt, ist alles andere als verständlich für uns Europäer. Gut, man kann jetzt sagen, dass dies eine Ausnahme innerhalb Gens Familie darstellen kann, aber im Verlauf der Geschichte erkennt man immer wieder, das Japan ganz andere Regeln und Moralvorstellungen hat, die Nakazawa auch offen darstellt. Erst als gegen Ende im Nachwort klargemacht wird, dass es sich bei Gen um den jungen Keiji handelt, wird der Blick auf das eben gelesene nochmals verändert. Denn in der Einleitung spricht Nakazawa noch sehr distanziert von seiner Hauptfigur, deren Name er bewusst aus den verschiedensten Gründen gewählt hat. Dann folgt die Geschichte, einer Berichterstattung aus einem Krisengebiet gleich, nur um dann am Ende mit eben jenem Nachwort zu einem persönlichen Familiendrama, fast schon erweitert zu werden.

Der tragische Moment.

Der tragische Moment.

Visuell ragt der Band, auch nicht an Mangas seiner Entstehungszeit, sonderlich positiv heraus. Es ist eher wie bei „Maus“, zweckdienlich und dennoch auf eine einfache und trotzdem außergewöhnliche Art faszinierend. Das heißt aber nicht, dass die Bilder hässlich oder gar schlecht sind, sondern eher im Gegenteil. Sie zeigen teilweise sogar mit erschreckenden Details das Grauen, welches zum Ende des Zweiten Weltkrieges herrschte. Ähnlich wie auch bei Art Spiegelmans Epos „Maus“ wird hier ganz bewusst mit starken und dominanten Strichen, aggressiven Schraffuren und teilweise grellen und großen weißen Flächen gespielt, wobei dies kein wirkliches Spiel mehr ist. Die Landschaften sind erschrecken realistisch, wohingegen die Menschen oftmals wie Karikaturen wirken. Das ist aber auch von Nakazawa gewollt, denn trotz allen Ernstes, scheint es so leichter zu sein, das Geschehene zu verarbeiten, wie es auch Spiegelman mit seinen Mäusen und Katzen getan hat. Gen ist genau wie sein Vater und sein Bruder immer ein wenig überspitzt dargestellt. Einzig seine Mutter wirkt noch ein wenig reeller, als der Rest der Familie: zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als Little Boy einschlägt. Denn ab dann überschlagen sich nicht nur die Ereignisse, sondern auch förmlich die Bilder. Sie wirken chaotisch und verzweifelt. Hilflos und von Angst durchzogen. Hier hat Nakazawa seine ganzen Erlebnisse einfließen lassen. Dies spürt man, auch ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, wie nah Nakazawa der Tragödie wirklich war.

FAZIT:

„Barfuss durch Hiroshima“ ist nicht umsonst ein weltweit anerkanntes Meisterwerk. Keiji Nakazawa erzählt eindrucksvoll aus seiner eigenen Vergangenheit, schafft es aber dennoch so viel Distanz, zwischen sich und seiner Hauptfigur Gen, aufzubauen, dass es nicht wie ein persönliches Drama, sondern eher wie ein journalistischer Augenzeugenbericht wirkt. Dennoch sind die Emotionen in Nakazawas Erzählung immer präsent, genau wie die blutrote Sonne, das Zeichen auf Japans Flagge, die ständig und unbarmherzig über den Menschen prangt.
Das Nakazawa hier etwas geschaffen hat, das ungehindert in allen Bevölkerungsschichten und Regionen auf der ganzen Welt, verbreitet werden muss, hat auch Art Spiegelman erkannt, der ein Vorwort zu diesem Band verfasst hat. Denn wie Nakazawa, hat auch Spiegelman seine Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg machen müssen, auch wenn dies in seinem Fall „nur“ indirekt war.

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